Hitze, die in die Ohren steigt
- Bülent Erdogan
- 23. Juli 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Juli 2019
Ich habe ziemlich gute Ohren. In puncto Flurfunk bin ich daher regelmäßig gut informiert. Problematisch wird das bei Sahara-Wetter, wie es jetzt wieder vor der Türe steht. Dann heißt es für mich wie für viele Kölner: Hitze oder Lärm in der Nacht?

Montagmorgen, 6:32 Uhr: Ein dumpfes, anschwellendes Grollen setzt meinem Schlaf ein jähes Ende. Ich befinde mich im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Gremberg. Für meinen Selbstversuch hat mir ein Freund seine Couch überlassen.Etwa 15 Meter Luftlinie entfernt liegt die Straße, auf der die Kölner Verkehrsbetriebe die Buslinie 153 bedienen. Die Balkontür ist geöffnet, mit geschlossener Türe lässt sich an diesen heißen Sommertagen beim besten Willen nicht schlafen. Entweder Hitze oder Lärm, das ist für viele Millionen Menschen gerade in Tagen mit Sahara-Wetter die Qual der Wahl.
Ich habe mich für den Lärm der Straße, genauer: eines Busses der Linie 153, entschieden. Mein Kumpel sagt, dass ihm der Verkehrslärm nichts ausmacht. Mit einem Lärmmessgerät vom Verkehrsclub Deutschland ermittle ich einige Minuten später die Geräuschentwicklung bei der Vorbeifahrt eines weiteren Linienbusses, es zeigt in der Spitze 55 dB(A). Besonders unangenehm ist das bassige, die Haut durchdringende Brummen des Motoraggregats, als der Bus unter lautem Protest an Fahrt aufnimmt. Davor und danach Autos, deren Reifen die Luftüber dem Asphalt verdrängen, ein Lastkraftwagen, der sich an den schlichten Mietshäusern vorbeiquält, und kurze Phasen relativer Ruhe, in denen das Gerät zwischen 35 und 40 Dezibel anzeigt. Wenige Minuten haben mir gereicht um festzustellen, dass selbst ein Schlummern jetzt keine Erholung mehr verspricht. Also, raus aus den Federn, unter die Dusche, den Kaffee auf später vertagt und rein in den Bus 153, der mich zum Bahnhof bringen soll. Im letzten Moment schaffe ich als Nachzügler die Haltestelle. Feine Sache, das mit dem Bus direkt vor der Haustüre.
Eine Viertelstunde später: Auf dem Gleis des Deutzer Bahnhofs, an dem die Regionalzüge nach Düsseldorf halten, hole ich das Messgerät wieder heraus. Der RE 5 fährt ein, ich messe einen Momentanpegel von 75 dB(A). Dieses Mal signalisiert mir das Geräusch, dass heute vielleicht Verlass sein könnte auf den Fahrplan der Deutschen Bahn. Leider ist im Abteil kein Sitzplatz mehr frei, den aufkommenden Frust vertreibe ich mit Musik aus dem MP3-Player – und gehe hoffentlich keinem Mitreisenden auf die Nerven. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof steige ich um in die Stadtbahn.
Nach einer Gesamtfahrzeit von 80 Minuten spuckt mich die U-Bahn-Linie 78 der Düsseldorfer Rheinbahn an der Theodor-Heuss-Brücke in Golzheim aus. Als die nächste Straßenbahn zügig vorbeirauscht, zeigt mein Messgerät 81 Dezibel an. Ich wiederhole meine Messungen auf beiden Straßenseiten, hier kommt dankenswerter Weise zu Stoßzeiten jede zweite Minute eine Bahn vorbei: das Gerät zeigt mal 85, mal 86 Dezibel. Dazwischen wieder die Autos, deren Piloten nach erzwungenem Stopp an der Ampel wieder beherzt aufs Gas treten. Eingerahmt wird dieses fulminante Lärmwellenbad, dieser Mix aus profanen Autogeräuschen und dem Summen der beschleunigenden oder bremsenden Straßenbahnen, zu beiden Seiten von sechs- und siebengeschossigen Mietshäusern. Entsprechend sparsam gehen die Anwohner mit dem Kippfenster-Modus um. Auch wenn es phasenweise etwas ruhiger zugeht, liegt der Lärmlevel in den umliegenden Straßenzwischen 48 und 60 dB(A), Grund ist die autobahnähnliche Brückenrampe. Bei regennasser Fahrbahn wäre es hier weitaus lauter.
Zurück in Köln: der Biergarten im Volksgarten in der Neustadt-Süd ist proppevoll, die Menschen genießen den lauen Sommerabend, sprechen über Gott und die Welt, das Display des Lärmmessgeräts zeigt bis zu 75 Dezibel an. Ob sich das süße Entenküken im nahe gelegenen Weiher davon hat ablenken lassen und deswegen mit einem kaum vernehmbaren „Quakquakquak“ nun seine Mutter sucht? Bis es hier merklich leiser wird, werden jedenfalls noch einige Stunden vergehen.
Kurz vor Mitternacht ist der Tag geschafft: Die geöffneten Fenster meines Schlafzimmers ermöglichen etwas Durchzug. Mein Lärmmessgerät zeigt von Zeit zu Zeit gar keine Werte an, das ist ein gutes Zeichen. Denn erst ab 30 Dezibel geht es bei ihm überhaupt los. Kurze Zeit später durchbricht ein Touristenbomber im Landeanflug auf Köln/Bonn die erholsame Ruhe. Obwohl es „nur“ 40 oder 41 dB(A) sind, fühle ich mich gestört. Auf diesen Flieger folgen in Abständen von wenigen Minuten weitere Maschinen. Ich weiß, wenn ich entspannt durchschlafen möchte, dann wird mir nichts anderes übrig bleiben, als die Fenster in der Gaube wieder zu schließen. Immerhin habe ich mit dem Sleep-Timer für das Radio eine weitere Beschallungsquelle im Griff.
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