Ein Grundgesetz für ein Auto
- Bülent Erdogan
- 1. Mai 2021
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Aug. 2021
Schreckliche Szenen spielen sich dieser Tage in Zeiten der allabendlichen Ausgangssperre in unserem Veedel ab. Alle Autos müssen um 21 Uhr, dem sogenannten Reker-Urknall, einen Parkplatz ergattert haben oder es drohen 150 Euro Bußgeld. Das führt zuweilen zu Verzweiflungsakten.

Wie auch bei diesem bemitleidenswerten Auto in unserem Bild. Das arme Geschöpf musste entgegen seiner natürlichen Art quer gequetscht einparken und nehmen, was es kriegen konnte. Das ist entwürdigend. Und völlig unverständlich. Denn nur eine Reifenumdrehung voraus war doch noch unendlich Platz vorhanden.
Doch leider und ziemlich dreistig werden hier etwa 3 Meter guter Kölnischer Boden Tag für Tag einfach grundlos freigehalten und als Bürgersteig zweckentfremdet. Wie viele Autos könnten hier würdevoll parken, in Reih und Glied, beleuchtet und beschützt vor widrigen Umständen, zum Beispiel Außenspiegel-meuchelnden Rowdies auf den viel zu unsicheren Straßen des Veedels? Die Autos haben sich an vielerlei Unbill gewöhnt. Aber irgendwann muss wirklich mal Schluss sein mit der impertinenten Drangsal.
Wir meinen: Dieser Skandal muss ein Ende finden. Befreit unsere Autos endlich von diesem Joch: Ein Gehweg in Köln hat maximal eine Breite von 90 Zentimeter zu bieten. Das muss für den sich begegnenden Fußgängerverkehr wirklich ausreichen, immerhin hat ein Mensch auch keine Außenspiegel. Was sage ich da nur? "Verkehr" kann man diese fehlgeleitete Motorik ohnehin nicht nennen, Fußgänger sind einfach zu faul, sich einem Auto mit der notwendigen Liebe und Hingabe zu widmen und dessen natürliche Wildbahn ausreichend zu würdigen. Außerdem werden die Bürgersteige der Stadt ohnehin nur zugekackt.
Sie ahnen es vielleicht, unser Text vollzieht an dieser Stelle eine scharfe Vollbremsung. Möglich macht es ein spektakuläres Ereignis, gegen das die Invention des Komfortblinkens ein Treppenwitz ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik der großen Koalition könnte eines Tages als Kopernikanische Wende in die Geschichtsbücher eingehen. Es gibt einen Grad an wachstumszahlenbeflissener Zerstörungswut oder unterlassener politischer Gestaltung, welcher sich nicht mehr mit dem Grundgesetz und den darin festgeschriebenen Rechten junger Menschen verträgt. Das ist gut so.
Aber es gibt eben noch mehr dieser Zustände und Umstände, die nach Urteilen aus Karlsruhe schreien. Die derzeitige Belagerung unserer Veedel mit Stehzeugen verhindert jede Entwicklung und Entfaltung der Menschen, die hier wohnen. Na klar, viele dieser Menschen sind nicht nur gepeinigte Anwohner, sondern eben selbst stolze Besitzer eines motorisierten Vehikels. Aber ebenso vielen Menschen gehört eben keines dieser Autos. Und sie sind in jedem Fall die Gekniffenen, weil sie nicht wenigstens einmal am Tag etwas von der Blechbüchse haben. Derweil wird es immer voller, niemand kann sich ein Veedel überhaupt noch ohne Autos vorstellen, der Durchgangsverkehr trägt sein übriges zur miserablen Lebensqualität vieler Straßenzüge bei.
Ist das mit dem Grundgesetz vereinbar? Und mit der Ratio des Menschen? Mit dessen Bedürfnis nach Begegnung und Gestaltung seiner Umwelt? Lautet die Antwort im Jahr 2021 lapidar: "Schleicht euch, die Straße gehört den Autos! Und nach den Verbrennern stellen wir bald alles mit Akku-Karren voll, ihr Loser!" Das kann nicht die Zukunft sein und verbrennt ebenso viel Zukunft wie es die Kohlemeiler im rheinischen Revier tun .
Corona wird irgendwann überwunden sein, medizinisch, mental, schulisch. Die wahren Herausforderungen werden nicht so einfach per Impfung oder Risikoneubewertung verschwinden. Es bleibt zu hoffen, dass Karlsruhe schon bald ein weiteres, wegweisendes Urteil fällen wird.
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