Es war einmal der Ostbasar: Als Wesseling noch nach Aufbruch roch
- Bülent Erdogan
- 2. Aug. 2018
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Okt. 2018
Im September hat in der Wesselinger City, im Schatten von Rathaus und St. Germanus, die Anlaufstelle für sizilianische Culinaria eröffnet: Selinunte Feinkost. Eine kurze Story über den stationären Handel, Menschen mit Leidenschaft und das Revival einer schwierigen städtischen Zone.
Als ich noch ein kleiner Junge war, da nahm mich meine Mutter oft mit zum Einkaufen. In den allerersten Jahren war die Downtown von Wesseling noch eine Einkaufsstraße mit beschranktem Bahnübergang und zog sich von der Flach-Fengler-Straße über die Bahnhofstraße bis zum Rhein. Ende der 1970er entschied sich auch Wesseling für eine Fußgängerzone und untertunnelte die Stadtbahnlinie 16 und das Gütergleis. Die Katakombe sorgte fortan für Ärger, aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn es meine Mutter nicht in den Karstadt mit Dachparkplatz oder den gegenüber liegenden Aldi auf der ehemaligen Flach-Fengler-Straße zog, dann gingen wir auf "die andere Seite", die meine Mutter mir damals wie selbstverständlich unter dem Namen "Ostbasar" bekannt machte. Im sogenannten Inselhaus an der Ecke Bahnhofstraße und Kreuzstraße gab es einen türkischen Tante-Emma-Laden. Dort kaufte meine Mutter typische Zutaten für türkische Speisen ein. Ansonsten mieden meine Eltern den Kontakt zur türkischen Community.
Die Bahnhofstraße führt schnurgerade zum Rathausplatz mit dem Alten und Neuen Rathaus und den das Areal strukturierende Wohn- und Geschäftsgebäuden der 1970/1980er und damit zum Ostbasar im engeren Sinne. Ich erinnere mich an einen schönen Brunnen vor dem Anfang der 1970er errichteten neuen Rathausgebäude, an die schicken Lollypop-Laternen, an einen Supermarkt.
Zum Ostbasar gehörten im Laufe der Jahre ein Teppichladen und ein Optiker, ein Bistro, ein Fotostudie, ein Haustierhandel, ein "Italiener", ein Jeans-Geschäft und zwei Bankfilialen (erst die Kreissparkasse, später in den Achtzigern kam vis-a-vis die Commerzbank hinzu). Im Untergeschoss des Rathauses war die Stadtbücherei untergebracht, ich bekam irgendwann meinen eigenen Ausweis, er trug die Nummer 1399.
Eines Tages in den Achtzigern kam Alfred Biolek für eine TV-Übertragung auf den Rathausplatz, "ganz Wesseling" war auf den Beinen, um das Ereignis (man hätte seinerzeit nicht von einem Event gesprochen) mitzuverfolgen. Es roch noch nach Aufbruch, auch wenn die Bundesrepublik mit dem Ölpreisschock von 1973 und der kleinen Rezession von 1979/80 eine andere geworden war und die einstige Projektion von bis zu 70.000 Menschen in Wesseling verblasst war. Aber so erklärt sich der Kreisel auf dem Mühlenweg, der einst locker doppelspurig befahren werden konnte - heute würden zwei SUVs nebeneinander wohl doch miteinander in Clinch geraten.
Die Achtziger waren eine harte Zeit für die einen und ein Refugium für die anderen. Die Bednarzrepublik Deutschland mäanderte in phlegmatischer, formaldehydrierender Ausprägung vor sich hin. Mein Glück war, dass ich jung war und irgendwie alles neu für mich: die Arbeitslosigkeit, das Phänomen der Skinheads, Nicole, BTX und Videotext für Alle, "Die Republikaner" um einen gewissen Herrn Schönhuber. Mir schauderte vor dem Atomkrieg, Tchernobyl verleidete den Sommer 1986, Helmut Kohl regierte. 1987 kam Litti aus Paris zurück, auf dem Weg zum Stadion hörte ich davon, dass er einen Vertrag bis 1991 unterschrieben hatte. 1991? Das war das nächste Jahrzehnt! Ich fand all das aberwitzig, vier Jahre, bis 1991, das war ein Drittel meines bisherigen Lebens. Wer konnte schon so weit in die Zukunft blicken, dachte ich so bei mir. Irgendwann noch Gladbeck, "langer Donnerstag" (der "Schlado"), zwei Vizemeistertitel, okay, der eine kam erst 1990 auf die Visitenkarte, und der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus.
Apropos Littis Vertrag: 1990 feierte die Stadt am Rhein auf dem Rathausplatz die Wiedervereinigung, als Partnerstadt aus den fünf neuen Ländern brannte sich Leuna, bekannt durch die Leuna-Werke, in mein Gedächtnis ein. Ein gewisser Erich Honecker hatte auf das chinesische Pferd gesetzt und sich verkalkuliert. Sehr zum Verdruss von Margot. Erster Deutscher Meister der Wiedervereinigung wurde K'lautern, und zwar in Köln. 40.000 Betzebuben feierten auf ehrwürdigem Geläuf und wir verpassten den UEFA-Cup und hernach gar den DFB-Pokalsieg.
1995 eröffnete einige hundert Meter weiter westlich auf einem brachliegenden Areal der Berzdorfer Straße der Marktkauf-Supermarkt. Danach war in der City nichts mehr wie zuvor. Auch auf dem Ostbasar ging es peu a peu bergab. Irgendwann öffnete die Stadt einen Teil der Fußgängerzone wieder für Autos, um mehr Publikum anzulocken. Doch auch die letzte Bank schloss ihre Pforten.
Nun liegt in jeder Krise auch eine Chance, wie man mit Blick auf die alten Griechen ja so gerne von sich gibt. Eigentlich ist der Ostbasar nämlich der schönere Teil der City. Nur einen Steinwurf hinter dem Rathaus liegt schon der Rhein und die dreischiffige Basilika St. Germanus und die Straße Auf dem Sonnenberg. Eine schicke Freitreppe und Restaurationen laden zum Flanieren ein. Vielleicht tragen die höheren Geburtenraten in den kommenden Jahren etwas zum alten Flair bei oder die Menschen kaufen im eigenen Interesse weniger im Internet ein.
Ein leerer Laden ist an sich ist keine Naturkatastrophe. Sofern nur genügend Phantasie und Aussicht auf Kundschaft vorhanden ist, lässt er sich wieder beseelen. Den Mitarbeitern im Rathaus sollte es recht sein, wenn rund um ihren Arbeitsplatz neue Einkaufsgelegenheiten auch gehobener Art zum Spaziergang in der Mittagspause einladen.

Selinunte Feinkost
Im September hat in der Wesselinger City, im Schatten von Rathaus und St. Germanus, die Anlaufstelle für sizilianische Culinaria eröffnet: Selinunte Feinkost.
Pro bono Werbeblock: Erleben Sie den außergewöhnlichen Geschmack der Sonnen-Insel. Überzeugen Sie sich von exquisiten, natürlichen Delikatessen wie Oliven (Natur oder eingelegt) und das aus ihnen gepresste hochwertige Olivenöl, den begehrten sizilianischen Schafskäse in verschiedenen Variationen (Pecorino und Ricotta, gesalzen, gepfeffert, verschiedene Lagerungsdauern), gekonnt gewürzten Saußen auf Tomatenbasis, Pesto oder Limonen-Marmelade, Pasta in seinen unzähligen Varianten und diversen Fleischwaren. Als einzige Käse ihrer Art sind Selinunte Feinkost-Sorten mit den italienischen Produktsiegeln DOP und PDO ausgezeichnet.
Ein sizilianischer Traum: Mit einer Fläche von rund 25.000 Quadratkilometern ist Sizilien die größte Insel im Mittelmeer. Gemeinsam mit einigen ihr vorgelagerten kleineren Inseln bildet sie die Autonome Region Sizilien. Etwa fünf Millionen Menschen leben auf Sizilien. Höchster Punkt ist Europas noch größter aktiver Vulkan Ätna mit mehr als 3.300 Metern.
Im Westen der keilartig aus dem Mittelmeer herausragenden Landmasse mit einer Küstenlänge von 1.152 Kilometern liegt Selinunte eine archäologische Fundstätte im Gemeindegebiet Castelvetrano der Provinz Trapani. Die zahlreichen Tempel zählen zu den bedeutendsten griechischen Tempeln auf Sizilien, Selinunte ist eine der größten archäologischen Zonen Europas. Hinzukommen Bauten aus der Siedlungsphase der Karthager, die vielen unter uns aus dem Geschichtsunterricht bekannt sein dürften. Wer reitet schon wie Hannibal mit Elefanten über die Alpen?
Außergewöhnlich auf Sizilien ist auch jener der Insel eigene Mix aus Sonne, Klima, Städten und Berglandschaft. Die Menschen im Ort Castelvetrano haben über die Jahrhunderte mit diesen Voraussetzungen umzugehen gelernt und bescheren allen Feinschmeckern heute eine Reihe exquisiter, natürlicher Nahrungsmittel.
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